Diese Erzählung schrieb ich im Jahr 2011. Der zugrundeliegende Vergleich aber stammt von meinem Vater. Unter dem Titel „Die Rosenmetapher“ ist der Text auch im Anhang meines Buches „Für ein Kinderlachen“ enthalten. Und er bildete einige Jahre lang die Einleitung zur Rubrik „Missbrauch und Kinderpornographie“ auf der alten SuH-Seite (Link führt zum Archiv). Am Anfang dieser Geschichte stand die Frage, warum Menschen eigentlich Blumen pflanzen. Sie bewundern vor allem ihre schönen Blüten, nicht? Was wären Blumen ohne Blüten! Doch was sind Blüten eigentlich für die Pflanze? Nicht ihre Geschlechtsteile?
______________________
 

Der Rosengarten

Es war einmal ein Mann, der züchtete Rosen. Er hatte einen großen Garten in den die Leute in Strömen kamen, wenn seine Rosen in Blüte standen, und sie bewunderten. Sie bewunderten auch die harte Arbeit, die dieser Mann in seine Pflanzen gesteckt hatte – und jedes Jahr wieder aufs Neue hineinsteckte.

Unter den Besuchern seines Gartens gab es auch einen Mann, der nicht in der Blütezeit kam. Nein, er kam, wenn die Rosen gerade Knospen bildeten. Er kam jedes Jahr ein paar Mal um die Knospen zu begutachten. Blühende Rosen fand er zwar auch schön, doch faszinierte ihn, wie aus den kleinen knubbeligen Knospen so große filigrane Blüten werden konnten. Und jedes Jahr konnte er sich an den kleinen grünen Blumenknospen und daran, wie sie sich entfalteten, gar nicht satt sehen.

In einem Jahr dann trieb ihn die Neugier, doch einmal nachzusehen, wie die Knospen es schafften, dass in so kleinen runden Spindeln die vielen Blütenblätter wuchsen ohne sich zu verknoten oder zu verwachsen. Er saß in dem Garten und pulte einige Knospen auf, um zu schauen, wie sie von innen aussahen. Und er war fasziniert. Er fertigte Fotos und Skizzen an und versuchte zu verstehen, was in den Knospen vorging während sie wuchsen.

Als die Blütezeit anstand war er längst gegangen. Er kannte Rosen und wie sie blühten. Die sah man ja überall. Doch niemand schien sich für die Knospen zu interessieren, für ihren Werdegang. Um diese Zeit rief der Besitzer des Gartens ihn zu sich. Er kam und der Rosenzüchter bat ihn zu einer Führung durch den Garten. Sie unterhielten sich angeregt und er erzählte ihm von der vielen Arbeit, die es kostete, Rosen gedeihen zu lassen sodass sie eines Tages so wundervoll blühten. Dann sagte er: „Komm, ich will dir etwas zeigen.“

Als sie die Wege entlangliefen war kaum noch wiederzuerkennen, wo er zuvor die Knospen untersucht hatte.

„Siehst du etwas?“, fragte der Gartenbesitzer unvermittelt.

„Nein“, meinte der zweite Mann überrascht, „Was soll ich denn sehen?“

„Sieh nur genau hin! Fällt dir an dieser und dieser und jener Blüte nicht etwas auf?“

Tatsächlich, stellte er nun fest, waren die Blüten, die der Rosenzüchter ihm da zeigte, anders als alle übrigen Rosen im Garten. Sie hatten nicht die Anmut und die Schönheit der anderen Blüten. Nein, sie waren missgebildet und ihre Blütenblätter teils abgestorben und schwarz verfärbt.

Der Mann, der die Knospen begutachtet hatte, empfand Mitleid mit diesen Blüten. Was war nur geschehen, fragte er sich. „Was ist mit ihnen? Haben sie etwa Frost bekommen?“

„Nein“, sagte wieder der Besitzer des Rosengartens, „Das sind die Blüten, an deren Knospen du vor einigen Monaten herumexperimentiert hast.“

©2011, 2025 Max Weber

Rose_Gruen_Web

______________________
 

Diesen Vergleich zwischen Blumen und Menschen benutzte mein Vater nach meinem Outing einmal. Das berührte mich sehr und gab mir zu denken. Mein Vater verglich sexuellen Kontakt zu Kindern zu suchen (Missbrauch) damit, die Knospen von Blumen aufzupulen und zu erforschen. Sicher eine interessante und faszinierende Sache, von Neugier getrieben und womöglich sogar ohne böse Absicht. Und was sind Knospen anderes als die unfertigen Geschlechtsteile der Blumen! Und was für Auswirkungen hätte solche ganz und gar unschuldige Neugier für die Blüten?

Auch der Geschlechtstrieb wirkt teils über die Neugier. Nicht umsonst gibt es den Spruch: „Wenn die Neugier nicht wär blieb’ der Kinderwagen leer.“ Und bei Pflanzen erlauben wir uns so ein Spielen, sogar eine gewisse zerstörerische Neugier. Blumen schneiden wir auch ab und stellen sie in Vasen. Wenn man dann jedoch den Sprung wagt, das Sinnbild verlässt und statt Blüten Kinder einsetzt, um die es hier ja eigentlich geht… dann werden all diese Gedanken und Metaphern plötzlich ziemlich verstörend, nicht wahr?
Was machen etwa Eltern, die ihre Kinder zur Selbstdarstellung benutzen anderes, als sie wie eine Blume abzuschneiden und in eine Vase zu stellen, aus der sie nicht entkommen können! Darf man Kinder abschneiden und in Vasen stellen zum Schönaussehen? Oder darf man Kinder zum Objekt sexueller Neugierde machen? – Bei dieser Vorstellung allein wird mir persönlich ganz anders. Nein, sie sollen doch blühen, sollen so frei und unbeschwert sein wie irgend möglich! Wer wollte da je – aus Neugier oder aus Geilheit heraus – solch einen Schaden riskieren?

2011 habe ich diese Erzählung in Textform gebracht. Und hier kam auch die Idee für die stilisierte Rose im Logo von Schicksal und Herausforderung her. 2025 wurde sie von mir in Zusammenhang mit der Erstellung einer neuen englischen und der tschechischen Übersetzung für ČEPEK leicht überarbeitet.